Die seit Jahren anhaltende Flüchtlingskrise lässt viele Menschen nicht kalt. Vermehrt nehmen viele Fliehende aus vor allem Nahost, Zentralasien und Ostafrika den Landweg, um nach Europa zu gelangen. Die Zustände, unter denen Männer, Frauen, ganze Familien sowie leider viele unbegleitete Kinder reisen, sind menschenunwürdig und oftmals lebensgefährlich. Sie wollen helfen aber Sie wissen nicht wie? Sie trauen den Spendenaufrufen selbst großer Organisationen nicht? In unseren Tatsachenberichten, verfasst von freiwilligen Helfern verschiedener Nationalitäten erläutern wir, wo die Sach- und Geldspenden des Vereins Guarantee on Tomorrow hingehen – ganz ohne Umwege – beispielsweise direkt ins nächste Camp. Neue Freiwillige sind dabei stets willkommen und bekommen dabei selbst einen Einblick in die Arbeit des Vereins.

GUARANTEE ON TOMORROW im Flüchtlingslager Opatovac, Koratien, 9.-11. Oktober 2015

8 Personen. 7 Stunden Fahrt. 3 gesponserte Kleinlaster mit überwiegend Kleiderspenden. Ein handdesigntes Zelt. Der Verein errichtet ein neues Vorratslager, das in einer stürmischen Nacht zur trockenen Insel für Spendenmaterial wird. Ein chronologischer Bericht.

Eintreffen in Opatovac

Es ist Freitag, 9. Oktober. Das Rote Kreuz (?) im kroatischen Opatovac ist über unseren Hilfskonvoi informiert. Als wir am späten Abend Opatovac erreichen und eine der dortigen FreiwilligenkoordinatorInnen antreffen, werden wir trotzdem erst einmal für verrückt erklärt: Kleiderspenden, schön und gut, und davon gleich mehr als eine Tonne. Aber „ein 20 Meter langes Zelt?!“ Die Freude ist verhalten. Das Flüchtlingslager sei gut organisiert, heißt es, man habe bereits Zelte für Vorräte und wo solle man das neue überhaupt hinstellen? Lieber mehr helfende Hände! Davon braucht man dringend welche im Lager. Auf dieser öffentlichen Seite des Camps hat man einen guten Blick auf die Zeltstadt der Freiwilligen, die sich in die Dunkelheit erstreckt. Kaum noch jemand schläft darin, die meisten Zelte stehen mittlerweile leer oder sind mit Material vollgestopft. Das offizielle Versorgungszelt für Freiwillige ist umsäumt von zwei Bierzelten mit Sachspenden, die sich in einem augenscheinlich chaotischen Zustand befinden. Als wir in eines hineinblicken, steht gerade eine junge Frau mit Stirnlampe im Durcheinander und dreht sich hilflos um die eigene Achse.

Nach einer kurzen Nacht beginnen wir am nächsten Morgen um 6.30 Uhr sämtliche Campingzelte abzubauen bzw auszuleeren und gegebenfalls ein paar Leute aufzuscheuchen, denn: Die Zeit drängt – am Nachmittag soll es einen Wetterumschwung geben. Danach sieht die Witterung für die Region sehr kalt und nass aus.

Ein Überblick zu Opatovac

Das unweit von Serbien gelegene Opatovac im ostkroatischen Syrmien ist eigentlich ein Militärstützpunkt. Vorübergehend wurde es zum Transitlager für Flüchtlinge umfunktioniert. Es gibt bis zu 5.000 Neuankömmlinge täglich. Alle Flüchtlinge werden namentlich registriert. Viele werden von anderen hauptsächlich serbischen Camps via Bus hergefahren, der Rest kommt zu Fuß oder via teurem Taxi nach Opatovac. Anschließend geht es mit dem Bus zur ungarischen Grenze weiter, die meisten bleiben aber mindestens mehrere Nächte in Opatovac, bis sie weiter können. Ab dort wurde über Hegyeshalom, Wien, Salzburg bis München eine Art Reisekorridor mit mehr oder weniger funktionierendem Flüchtlingstransport (es gibt Berichte zu hochmafiösen Organisationen, bei denen Flüchtlinge ihr letztes Geld für eine Weiterreise hergeben, um dann anschließend mitten im Nirgendwo aus dem Fahrzeug geprügelt zu werden) eingerichtet. Wie lange dieser Korridor bestehen bleibt, ist ungewiss. Ungarn droht, die Grenze nach Kroatien dicht zu machen.

Auf dem befreiten und bislang noch trockenen Ackerfeld soll das neue Vorratszelt entstehen, das man mit wenigen Handkniffen in siner Länge verändern kann. Jetzt, nach Tagesanbruch, erkennen wir auch endlich die weitere Umgebung von Opatovac. Das abgeschiedene Lager ist in mehrere Bereiche gegliedert: Zwischen der Zeltstadt für Volunteers und dem Busparkplatz, wo Tag und Nacht der (Ab-)Transport von Flüchtlingen stattfindet, verläuft eine private Straße direkt in das eigentliche Camp, also den ehemaligen Stützüunkt des Militärs. Dort beginnen die KZ-artigen Warteschlangen von Menschen in Wolldecken und Plastiksäcken und von Uniformierten mit Mundschutz. Auf halbem Weg versperrt ein Gatter den Weg, das nur registrierte Personen passieren dürfen. Journalisten sind nicht erlaubt. Jeder, der eine Kamera mit sich führt, muss damit rechnen, dass sie einem abgenommen oder irreparabel beschädigt wird. Trotz allgemein positiver Bewertung des polizeilichen Verhaltens im Lager, liegen uns Berichte vor, wonach Journalisten und Privatpersonen ihr Equipment nicht wiederbekommen haben. Zwischen Lager und Busparplatz gelangt man durch ein längliches Militärzelt zu den Registrierkabinen und Vermittlungsstellen der UNHCR, die wir im Laufe des Abends aber aus Zeitmangel nicht aufsuchen können.

Zeltaufbau

Mit wechselnder Unterstützung anderer Neuankömmlinge und Frewilligen, die zum Teil seit knapp einem Monat im Camp arbeiten, bauen wir ab Samstagvormittag unser Zelt auf. Auf das biegsame jedoch wetterresistente Holzgerüst kommen zwei große Planen, die Innenseiten sind in einem hellen Farbton, um sich auch bei widrigen Lichtverhältnissen im Zelt zurecht zu finden. Als die Wolkenfront gegen 14 Uhr sich endlich entlädt und ein Dauerregen einsetzt, packen wir in höchster Eile sämtliche im Freien stehende Vorräte ins Zelt. Das sind nicht nur ein paar Kisten und Säcke – es handelt sich hier um 3 mehrere hundert Kilogramm schwere Haufen ungeordnete, oft bereits feuchte Materialien, die schon beim Reintragen vorsortiert werden müssen. Die Ladung in unseren Lastern sind da noch gar nicht miteingerechnet. Im Zelt selbst wird rigoros sortiert.

Gegen 15 Uhr sind wir soweit und haben ohne Verschnaufspause eine trockene, geräumige Vorratskammer mit System. Mitgebrachtes Werkzeug und Haushaltsmaterial wird darüber hinaus noch an andere Freiwillige verliehen, die damit ihre eigenen Zeltplanen dringend gegen den Regen stabilisieren müssen. Auf Bitten der Freiwilligenkoordinatorin geht eine Hälfte unseres Konvois direkt zur UNHCR, um sich als interne Volunteers akkreditieren zu lassen. Man fotografiert uns, nimmt unsere Personaldaten auf und gibt uns einen kleinen Zettel als „Volunteer“-Ersatz, mit dem wir schon vorläufig durch das Gatter kommen. Den richtigen Pass gibt es erst am nächsten Tag. Ehrlich gesagt wurden weder ich noch andere Mitglieder ein einziges Mal kontrolliert und es wurde nicht überprüft, ob wir kamerafähige Telefone bei uns trugen. An dieser Stelle geht unser Dank an Dani, Jan und andere Mutige, die sich im Flüchtlingslager nicht davor gescheut haben, die dortige Lage zu fotografieren!

Im Lager

Die schlechte Witterung führt im anfangs als „gut funktionierend“ bezeichneten Camp zu einem wahren Schlammbad. Auf dem Weg dorthin läuft man auf der privaten Straße Slalom um tiefe Asphaltlöcher. Links steht die unglücklich blickende Menschenschlange geduckt unter ihren Planen und Decken und rechts, hinter einer Schlammgrube, sind die ersten Zelte des Militärs und des Internationalen Roten Kreuzes (das wir im Laufe des Abends nur selten zu Gesicht bekommen). In den begehbaren Freiräumen der Straße positionieren sich jede Menge Ordnungshüter, die anscheinend nicht einmal daran denken, für Freiwillige oder eventuelle Spendenlieferungen Platz zu machen. Im Camp selbst ist die Situation ruhig: Kommt ein Bus an, bildet sich zum direkten Eingang des Lagers eine große, von Polizei bewachte Menschentraube, die sich nach unserer Beobachtung nach Nationalität gruppiert. Das Gedränge ist leider so dicht, dass man als Einzelperson nicht ohne den Eingriff von Polizisten durchkommt. Da wir für das Kleidervergabezelt im Camp die Lieferungen mit Schubkarren übernehmen, ist nach dem Pfützenparkour auf der Straße dieser Abschnitt die nächste unangenehme Hürde. Leute versuchen für uns Platz zu machen, wer aber auf dem rutschigen Untergrund nicht schnell genug spurt, wird von Wachmännern wortstark zusammengestaucht. Vorbei am Stall, das als Medizinstation dient, kommt man endlich in das eigentliche Camp. Wie erwartet ist der matschige Boden zugemüllt, es haben sich schon am frühen Abend gefährliche Schlammlöcher und Rutschbahnen gebildet, davon gleich zwei direkt am Vergabezelt: Flüchtlinge, die sich ein frisches Gewand abgeholt haben, treten hinein und landen unsanft im Schlamm.

Station Kleidervergabe

An der Kleidervergabe werden momentan die meisten Freiwilligen benötigt: Wo vor einer Woche noch zahlreiche Studenten warme und trockene Kleidung an Bedürftige ausgeteilt haben, arbeitet nun teilweise bis zu 5-6 Stunden nonstop eine Hand voll Übriggebliebener in einem Zelt, das in einem Kleiderchaos versinkt und in das es hineinregnet. Davor schieben sich Menschenmassen gegen die „Theke“, die aus zwei wackeligen Tischen besteht und auf denen international verständliche Abbildungen von (noch) verfügbaren Utensilien liegen. Bis zum frühen Abend sind die Arbeitsschichten im Vergabezelt noch geregelt. Wir haben wechselnde „Türsteher“, die nur einzelne Personen gleichzeitig vorlassen. Zu später Stunde reißt der Nachschub an Volunteers plötzlich ab – es kommt weder eine Ablöse noch haben wir Zeit kurz zum Spendenzelt zu laufen und die zur Neige gehenden Vorräte aufzufüllen. Als der letzte Türsteher geht, wird es stressig. Ein paar Desperados von Freiwilligen müssen wiederholt rigide Flüchtlinge zurückweisen, da niemand ihr Eindringen und eigenständiges Suchen nach neuen Schuhen und Kleidungsstücken kontrolliert. Da wir überwiegend Frauen im Vergabezelt sind, ist hartes Durchgreifen und Zurückdrängen mit vollem Körpereinsatz unsere einzige Waffe, um ein absolutes Chaos zu verhindern. Nicht hilfreich ist das Rote Kreuz, das riesige Ballen von grauen Decken auf unserer Theke deponiert mit der unklaren Anordnung, diese nicht an (durchgefrorene) Flüchtlinge auszuhändigen. Ebenso sorgt das Gebaren von einzelnen IRK-Mitarbeitern, die draußen vor dem Vergabezelt stehen und ihre einzige Aufgabe darin sehen, mit einer Schere die Schnüre von eventuell neu eintreffenden Ballen durchzuschneiden, für Unmut. Jede helfende Hand wird benötigt – das erkennt aber nicht jeder!

Das schlechte Wetter tut sein übriges. Die Temperatur liegt nach 20 Uhr abe bei gefühlten 5 Grad. Der Regen ist mittlerweile in eine Art Sturmböe umgeschlagen. Zum einen fängt der Ackerboden an, sich im Regenwasser aufzulösen und die Europaletten, auf denen die Flüchtlinge vor dem Vergabezelt stehen, aufzubrechen und wegzuwaschen. Zudem wird die Ungeduld in der Schlange größer – immer mehr Personen wollen noch schneller an die Reihe kommen – und wer in der Kälte völlig durchnässt ist – was fast alle sind-, wünscht neue trockene Kleidung, die wir nur bedingt herausgeben. Mein persönlicher Dank gilt vor allem unserem Konvoipaar Dani und Jan, die mit viel Pragmatismus und Ruhe später für Ordnung vor und im Zelt sorgen. Aber auch kurzfristige Hilferufe nach neuen Gewändern und Schuhen bleiben niemals unerhört – auch bei Wind und Regen und zu jeder Stunde karren Teammitglieder das am dringendsten benötigte Gut heran.

Unser Konvoi hat sich ab 3 Uhr in mehrere Aktionsgruppen zergliedert: Drei von uns unterstützen abwechselnd bis 5 Uhr morgens andere Freiwilligen bei der Kleiderausgabe; eine andere Gruppe ist beim Zelt und lässt sich für akute Hilfsaktionen einsetzen. Eine dieser Einsätze geht den Helfern ziemlich an die Nieren. Eine Gruppe aus Deutschland hat sich uns angeschlossen, und spricht sämtliche Hilfseinsätze vor Ort ab. Nachdem vom Roten Kreuz der Aufruf kam, in ein Innenlager zu fahren um dort etwaige überflutete bzw. wasserdurchdrängte Zelte abzusichern bzw. wieder wetterfest zu organisieren machten sich einige Helfer auf den Weg auch ohne Berechtigung im Innenlager mit anzupacken. Das Szenario war sehr erschreckend als man Babys und Kleinkinder völlig mit Wasser durchdrängt in den überfluteten Zelten vorfand. In kürzester Zeit mussten durch Paletten und weiteren Planen Überkonstruktionen erstellt werden, dass die schutzsuchenden Kinder auf einer erhöhten Stelle Schutz finden konnten. Kurz danach wurden auch die Helfer von der immer aggressiver vorgehenden Polizei vertrieben.

Jede mühselige Schubkarrenfahrt führt an einer schweigenden Schlange, die auf den nächsten Bus wartet, vorbei. Zur fortgeschrittenen Stunde sehen die Menschen immer desperater und durchnässter aus. Nur ein paar Kinder spielen im Graben mit dem Müll. Auch die Uniformierten sind offensichtlich durchgefroren und weniger freundlich als vorher. Auf dem Busparkplatz sammelt sich ein Berg grauer Decken im Regen, der von den abtransportierten Flüchtlingen zurückgelassen wurde. Angesichts der manchmal zähneknirschenden und emotionalen Szenen, die sich zwischen den Kleidervergabearbeitern und Flüchtlingen abspielen – sei es, weil wir keine Schuhe an alle mit lediglich nassen Schuhen ausgeben dürfen, weil Kinder ins Zelt dringen und wir sie nur mit körperlichem Einsatz herausschieben können, oder sei es, weil man der verzweifelten Person nicht begreiflich machen kann, dass es kein Gewand mehr in ihrer Größe gibt. Man trifft immer wieder auf Leute, die verärgert oder tief enttäuscht ihren Platz vor der Theke verlassen. Doch genauso gibt es welche, die sich für die Socken oder für eine Jacke bedanken und sich sichtlich erleichtert verabschieden. Das gibt ein gutes Gefühl und neue Energie für weitere Stunden Arbeit im Kleiderberg.

Gegen 19 Uhr fliegt eines der weißen Vorratszelte weg und die Ladung liegt offen im Sturm. Mit vereinten Kräften packt der anwesende Rest der Freiwilligen das verwundbarste Material und deponiert es in unserem Zelt, an das in der Zwischenzeit noch ein Vorzelt anbgebracht wurde. Dieses hat mittlerweile selbst etwas im Sturm gelitten und wird nun mit Stücken eines mitgebrachten Teppichs abgedichtet.

Nach der ersten warmen Mahlzeit des Tages (Vielen Dank an Erhard, dem inoffiziellen Lagerkoch!) gibt es eine Kurzbesprechung zur anstehenden Nacht. Wer soll welche Schichten übernehmen, wann und wo können sich die Schichtteams zum Ausruhen hinlegen und gibt es andere Bereiche, in denen noch dringend Support benötigt wird? Die letzte Schicht geht um 4.30 zu Ende; Clara und ich schieben mit den völlig verschlammten Schubkarren noch eine letzte Kleiderladung zur Kleidervergabe und legen uns dann endlich schlafen.

Am nächsten Tag fahren wir gegen 11 Uhr morgens zurück Richtung Österreich, jedoch nicht ohne das obligatorische Gefühl, nicht genug getan zu haben. Auf dem Weg zurück in der Nähe von Hegyeshalom passiert der Konvoi eine leere weiße Zeltstadt. Opatovac soll nicht als Flüchtlingscamp bestehen bleiben, sondern, laut Regierung, sich nach Slavonski Brod verlagern. Wir hoffen, dass dieses Camp die Mindeststandards von Opatovac übertreffen wird – der Winter kommt und für viele Flüchtlinge kann und wird dies den Tod bedeuten. Bevor aber dies passiert, wird GUARANTEE ON TOMORROW im Zusammenschluss mit anderen Organistionen vor Ort weiter versuchen, gute und wertvolle Arbeit zu leisten.

Wir danken allen, die gespendet und gesponsort haben sowie allen, die sich dazu bereit erklärt haben, bei dieser Aktion mitzuwirken.

Gudrun Kramer